20.03.2019

Was ist Glück?

Ansätze aus der Positiven Psychologie

Dies ist der erste Teil unserer Artikelreihe über Glück und Positive Psychologie. Glück ist ein Wert, der im Leben von vielen Menschen hinter den meisten Zielen steht und somit ein sehr grundsätzliches Thema. Deshalb wollen wir die Frage beantworten, was Glück eigentlich ist. Und du wirst feststellen, dass diese Frage gar nicht so trivial ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Viele Forscher aus dem Bereich der Positiven Psychologie haben sich über die Antwort bereits Gedanken gemacht. Lies selber, zu welchem Ergebnis sie gekommen sind.

Das Wort Glück wird im Deutschen vielfältig benutzt. Wir verwenden es, wenn wir im Lotto gewonnen haben, also für eine Form des zufälligen Glücks. Wir nutzen es, wenn wir uns in schönen Momenten kurzzeitig glücklich fühlen und wenn wir langfristig glücklich mit unserem Leben sind. Im Englischen werden diese verschiedenen Formen des Glücks klarer unterschieden. Dort gibt es luck – das Zufallsglück, pleasure – das Glück in Glücksmomenten und happiness – die Zufriedenheit mit dem Leben oder einzelnen Lebensbereichen. In diesem Artikel beziehen wir uns auf das Glück im Sinne von happiness und pleasure.

Was bringt Glück eigentlich?

Aber warum sollten wir uns überhaupt mit dem Thema Glück beschäftigen? Denn wie du im Folgenden noch lesen wirst, ist es gar nicht so trivial glücklich zu sein und es gibt verschiedenste Ansätze dazu, was uns eigentlich glücklich macht. Warum sollte man so viel Aufwand betreiben, nur um glücklich zu sein? Es gibt tatsächlich einige gute Gründe etwas für sein Glück zu tun1:

  • Glückliche Menschen leben länger.
  • Sie sind sozial kompetenter, kooperativer, beliebter und attraktiver für andere.
  • Sie haben ein stärkeres Immunsystem, werden seltener krank und erholen sich schneller.
  • Glückliche Menschen bleiben geistig länger fit und leiden weniger an neurodegenerativen Erkrankungen.
  • Sie sind leistungsfähiger, großzügiger, flexibler und kreativer.
  • Glückliche Menschen sind erfolgreicher im Beruf, aber auch in ihren sozialen Beziehungen.
  • Sie können besser mit Rückschlägen und Krisen umgehen, sind widerstandsfähiger und resilienter.

Es lohnt sich also, sich einmal näher mit dem Thema zu beschäftigen.

Die Weisheit von Aristoteles

Die Betrachtung von Glück reicht zurück bis in die Antike. Schon vor Jahrtausenden befasste Aristoteles sich mit Hedonismus, dem angenehmen Leben als höchstem Ziel und Eudaimonia, dem tugendhaften und wertvollen Leben. Hedonisches Glück zielt auf angenehme Gefühle und spezifische Ergebnisse ab, bei gleichzeitiger Abwesenheit von Schmerz. Die Quelle dieses Wohlfühlglücks liegt oft im Außen, wie einem Schaumbad, einer duftenden Tasse Kaffee, im wunderschönen Anblick des Sonnenuntergangs, einer liebevollen Geste des Partners oder auch dem Blick auf den Kontostand nach einer Gehaltserhöhung. Dem gegenüber steht das eudaimonische Glück, das im Zusammenhang mit dem Inhalt unseres Lebens steht. Es entsteht, wenn wir tun können, was für uns wertvoll ist und nach unseren persönlichen Werten und Zielen streben. Dieses Werteglück wird zum Beispiel in Form von Sinnerleben, Vitalität, Verbundenheit oder Dankbarkeit erlebt. Es ist ebenso mit angenehmen Gefühlen verknüpft, vorübergehend können aber auch unangenehme Gefühle erlebt werden. Es kann also Momente im Leben geben, in denen man sehr viel eudaimonisches Glück erlebt, aber wenig hedonisches Glück. Denn die konsequente Ausrichtung auf ein wirklich wichtiges Ziel kann auch den vorübergehenden Verzicht auf Freizeit und Vergnügen mit sich bringen. Wenn du in Afrika vor Ort den Hunger bekämpfen möchtest, wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Weile auf dein weiches Bett, deine warme Dusche und einige andere Annehmlichkeiten der westlichen Welt verzichten müssen. Und trotzdem resultiert aus diesem Prozess persönliche Zufriedenheit, denn das eigene Leben wird als wert- und sinnvoll erlebt. Glück beinhaltet also nicht nur die Glücksmomente voller Genuss, Vergnügen und angenehmen Gefühlen. Mindestens genauso wichtig ist es sein Leben sinn- und wertvoll zu gestalten. Denn daraus resultiert persönliche Erfüllung und Zufriedenheit, die tiefgehender und langfristiger ist, als das Glück der Glücksmomente.

Glück in der Psychologie

Den jahrhundertealten Ansatz von Aristoteles hat Ed Diener, führender Forscher im Bereich der Glücksforschung, in seinem Konzept des subjektiven Wohlbefindens aufgegriffen. Er definiert Glück als Subjektives Wohlbefinden und teilt es in zwei Komponenten ein2:

  • affektives Wohlbefinden und
  • kognitives Wohlbefinden.

Das affektive Wohlbefinden wird beschrieben durch das Verhältnis von positiven und negativen Emotionen (emotionale Komponente). Das kognitive Wohlbefinden bezeichnet die persönliche Zufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen (rationale Komponente). Folglich steigt das Wohlbefinden durch das Erleben von mehr positiven Emotionen sowie durch eine verstärke Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Und an beiden Punkten kann man ansetzen.

Was macht uns glücklich?

Diener hat mit seinem Modell des subjektiven Wohlbefindens Glück als Prozess mit emotionalen Komponenten und einer kognitiven Bewertung etabliert. Carol Ryff, eine amerikanische Psychologin, hat mit ihrem Modell des Psychologischen Wohlbefindens versucht herauszuarbeiten, warum Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind oder auch nicht. Sie baut dabei auf den Konzepten des positive psychological functioning auf, was ins Deutsche übertragen „psychische Leistungsfähigkeit“ bedeutet. Leistungsfähigkeit wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht im Sinne von „funktionieren“ verstanden, sondern als Liebes-, Arbeits-, Genussfähigkeit und Potenzialentfaltung. Ryffs Aspekte des Psychologischen Wohlbefindens sind3:

  • Selbstakzeptanz (eine positive Grundeinstellung sich selbst gegenüber),
  • Beziehungen (vertrauensvolle Bindungen),
  • Autonomie (Selbstbestimmtheit, Orientierung an eigenen Werten),
  • Lebensbewältigung (Selbstwirksamkeit und aktive Gestaltung der eigenen Lebensumstände),
  • Sinn und Lebensziele (Ausrichtung an größeren Zielen und dem eigenen Lebenssinn),
  • Persönliches Wachstum (Offenheit und kontinuierliche Entwicklung).

Das Konzept des Psychologischen Wohlbefindens orientiert sich damit stark am eudaimonischen Glücksbegriff und schlüsselt mögliche Dimensionen der Lebenszufriedenheit nach Diener auf.

Damit nicht genug, führt Martin Seligman, der als Begründer der Positiven Psychologie betrachtet wird, 2005 ein weiteres Konzept für Wohlbefinden ein: PERMA. Mit PERMA definiert er fünf Faktoren für Wohlbefinden4:

  • Positive Emotionen,
  • Engagement (in Aufgaben aufgehen),
  • Relationships (positive Beziehungen),
  • Meaning (Sinnerleben) und
  • Accomplishment (Zielerreichung & Wirksamkeit).

Ursprünglich umfasste sein Konzept nur drei Faktoren: Sinn, Engagement und positive Emotionen. In der ergänzten Form mit fünf Faktoren machte er das Modell auch außerhalb der akademischen Psychologie sehr bekannt. Inzwischen wird das Modell teilweise noch um einen weiteren Faktor ergänzt: Vitalität (PERMA-V). Anders als Ryff vereint Seligman in seinem Modell wieder explizit die Ansätze des hedonischen und eudaimonischen Glücks. Positive Emotionen zielen in den Bereich des Hedonismus. Engagement – das Nutzen der eigenen Stärken und Erleben von Flow, Meaning – das Erleben von Sinnhaftigkeit und Accomplishment – das Erreichen persönlich wichtiger Ziele sind eine wichtige Basis für eudaimonisches Glück.

Flourishing – Ziel der Positiven Psychologie

Seligman hat neben seinem PERMA-Modell auch den Begriff des Flourishing populärwissenschaftlich bekannt gemacht. Erstmals wurde dieser Begriff von Corey Keyes, amerikanischer Soziologe und Psychologe, eingeführt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet flourish aufblühen oder gedeihen. In der Psychologie wird er verstanden als gelingende psychische Entwicklung und umfasst somit subjektives Wohlbefinden, psychische Leistungsfähigkeit und den Prozess persönlichen Wachstums. Er steht im engen Zusammenhang mit dem Begriff der fully functioning person nach Carl Rogers. Nach Keyes umfasst Flourishing5:

  • Subjektives Wohlbefinden (nach Diener),
  • psychologisches Wohlbefinden (nach Ryff)
  • sowie einen zusätzlichen Aspekt – Funktionales soziales Wohlbefinden (das soziale Akzeptanz, soziales Wachstum, sozialen Zusammenhalt und Integration enthält).

Das Flourishing in der Welt zu erhöhen, ist eins der zentralen Ziele der Positiven Psychologie. Wodurch auch klar wird, dass Positive Psychologie mehr ist als nur „Happyologie“ oder Positives Denken. Es geht um Kenntnis der eigenen Stärken, Werte und des persönlichen Lebenssinns, eine tiefergehende Entwicklung und die Gestaltung des eigenen Lebens.

Wenn man sich die verschiedenen Modelle für Wohlbefinden anschaut, gibt es einige Unterschiede aber auch viele Parallelen. Das persönliche Wohlbefinden scheint über das „gut fühlen“ hinauszugehen. Unsere sozialen Beziehungen, das Engagieren für etwas Größeres, das Streben nach Zielen, das Erleben von Sinn sowie der Umgang mit uns selbst sind ebenfalls zentrale Aspekte. Deshalb widmet sich die Positive Psychologie all diesen Themen. Und gleichzeitig bleibt Wohlbefinden und Flourishing immer etwas Individuelles. Deshalb nimm dir einen Moment Zeit und überlege:

  • Was trägt zu deinem Wohlbefinden bei?
  • Was ist für dich wichtig, um dich bestmöglich zu entwickeln?
  • Wie ist das Verhältnis deiner positiven und negativen Emotionen?
  • Wie steht es um dein soziales Netzwerk? Bist du zufrieden mit der Quantität und Qualität deiner Beziehungen?
  • Kennst und lebst du deinen Lebenssinn? Welchen Sinn machen für dich die Aufgaben und Tätigkeiten, mit denen du die meiste deiner Lebenszeit verbringst?
  • Was sind dir wichtige Ziele? Und in welchen Tätigkeiten gehst du ganz auf?
  • Wie stehst du zu dir selber? Und wie gehst du mit dir um?

Im nächsten Artikel beschäftigen wir uns mit der aktuellen Glücksforschung und den Faktoren, die uns glücklich machen oder auch nicht. Und wenn du etwas in dein persönliches Glück investieren möchtest, hast du in unseren Seminaren in Positiver Psychologie die Gelegenheit.

 

Quellen:

  1. Lyubomirsky, Sonja, Laura King, and Ed Diener. „The benefits of frequent positive affect: Does happiness lead to success?“ Psychological bulletin 6 (2005): 803.
  2. Diener, Ed. „Subjective well-being.“ Psychological bulletin 95.3 (1984): 542.
  3. Ryff, Carol D. „Happiness is everything, or is it? Explorations on the meaning of psychological well-being.“ Journal of personality and social psychology 6 (1989): 1069.
  4. Seligman, Martin. Wie wir aufblühen: die fünf Säulen des persönlichen Wohlbefindens. Goldmann Verlag, 2015.
  5. Keyes, Corey. „The mental health continuum: From languishing to flourishing in life.“ Journal of health and social behavior (2002): 207-222.

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