23. November 2018

Der Placebo-Effekt – Teil II

Vom Schein zum Sein

Im vorigen Artikel haben wir das Thema Placebo aus verschiedenen Blickwinkeln, vor allem in Bezug auf Schmerzlinderung betrachtet und dabei gesehen, dass Konditionierung und Wirksamkeitserwartung wichtige Komponenten bei Heilungsprozessen sind. Heute wollen wir schauen, wie die Erkenntnisse der Placebo-Forschung für Coaching und Psychotherapie genutzt werden können und natürlich werden wir wieder einige interessante Experimente vorstellen.

Konditionierung und Erwartung

Der Placeboeffekt bezieht sich auf Stoffe (z.B. Medikamente, Drogen) und Maßnahmen (z.B. Übungen, Operationen, Psychotherapie),

  • die an sich unwirksam sind und durch den Placeboeffekt wirksam werden,
  • die an sich wirksam sind und durch den Placeboeffekt in ihrer Wirksamkeit verstärkt werden.

In der Forschung gelten als wesentliche Einflussfaktoren für Placeboreaktionen, bewusste oder unbewusste

  • Erwartung (expectancy)
  • Konditionierung (conditioning).

Eine bewusste oder unbewusste Erwartungshaltung oder Erfahrung, kann also die Wirksamkeit eines Stoffes oder einer Maßnahme maßgeblich erhöhen.

Wer den Placeboeffekt nicht nutzt, ist ein schlechter Therapeut

In einem Interview des Bundesministerums für Bildung und Forschung mit Dr. Ulrike Bingel1 wird die Bandbreite des Placeboeffekts beschrieben. Je nach Erkrankung sprechen etwa 20-90% der Patienten auf wirkstofffreie Medikamente an. Und natürlich wird auch die pharmakologische Wirkung von Medikamenten durch den Placebo-Effekt verstärkt.

Voraussetzung ist, dass die Erwartungshaltung zur Linderung des Schmerzes vom Patienten positiv ist, d.h. der Patient vertraut dem Arzt und ist von der Wirksamkeit seiner Therapie überzeugt. Durch Erklären der Wirkung des Medikaments, dass es z.B. gegen Schmerz oder Übelkeit hilft, wird die positive Erwartungshaltung unterstützt. Die Erwartungshaltung kann aber auch durch einen Lernprozess entstehen. Wenn bei Kopfschmerzen Aspirin bereits einige Male geholfen hat, kann es sein, dass ein Placebo als Aspirin verkleidet, beim nächsten Mal die schmerzlindernde Aufgabe übernimmt.

Wer in einer Placebogruppe ist, hat nicht immer Nachteile, denn manchmal ist die Wirkung des Placebos sogar besser als die „echte“ Behandlung, da es oft keine Nebenwirkungen hat. So bei einer US-Studie zu Herz OP’s an Patienten, die an einer Verengung der Herzkranzgefäße litten. 100% der Scheinoperierten ging es nach der OP besser als vorher – von den tatsächlich operierten berichteten nur 76% von einer Besserung. Und auch über Knie OP’s hatten wir bereits berichtet.

Placebo, der Alleskönner

Der schmerzlindernde Effekt der Placebos wird meist über endogene Opiate erzeugt. Bei Menschen mit Parkinsonerkrankung können Placebos wieder zu vermehrter Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin führen. Selbst wiederkehrende Bauchbeschwerden aufgrund von Verwachsungen können sich zurückbilden, wenn der Chirurg die Bauchdecke nur kurz öffnet, ohne die Verwachsungen zu lösen. Und man kann von alkoholfreiem Bier betrunken werden, wenn niemand einem sagt, dass kein Alkohol drin ist.

Je jünger, je leichter

Die Zulassung von Arzneien für Kinder ist zum Teil sehr schwierig, da Kinder oft suggestibler sind und stärker auf Placebos ansprechen. Bei Migräne wurde beispielsweise ein ausgeprägter Placebo-Effekt bei Kindern nachgewiesen. Deswegen gibt es auch kein Migränemittel für Kinder auf dem Markt – Placebos helfen einfach genauso gut. Insbesondere bei kleinen Kindern helfen gegen Schmerzen die altbewährten Hausmittel und Methoden: Pusten und schöne, bunte Pflaster. Doch müsste man eigentlich nicht sagen je jünger, je leichter sondern je suggestibler, je leichter! Daraus leitet sich ab, dass Coaches und Therapeuten sich in ihrer Arbeit mit sehr suggestiblen Klienten unbedingt vom Placeboeffekt unterstützen lassen sollten.

Der Placebo-Effekt in Coaching und Therapie

Überzeugung überzeugt

Zwei Psychologen, Prof. Ulrich Weger von der Universität Witten/Herdecke und Dr. Stephen Loughnan von der Universität Melbourne gingen der Frage nach, ob jemand bessere Ergebnisse zeigt, wenn er von seiner Leistungsfähigkeit überzeugt ist2. Hierfür wurden in einem interessanten Placeboversuch 40 Versuchspersonen in 2 Gruppen eingeteilt. Beiden Gruppen wurde gesagt, dass der Zweck der Studie wäre, die Rolle von Aufmerksamkeit bei Wissenstests zu untersuchen. Der Test bestand aus 20 Multiple Choice Fragen, die nacheinander an eine Wand projiziert wurden. Einer Gruppe wurde vor dem Test gesagt, dass die Ergebnisse jeder Frage, für wenige Millisekunden vor der Frage, angezeigt würden – allerdings so kurz, dass sie nur unterbewusst erfasst werden kann. Diese Gruppe trainierte daraufhin diese Art der unbewussten Aufnahme von Informationen, bis sie dies mit gutem Erfolg absolvierten. Der anderen Gruppe sagte man, dass vor jeder Frage kurz ein Lichtblitz zur Aufmerksamkeitssteuerung projiziert würde. In Wirklichkeit wurde in beiden Gruppen der gleiche sinnlose Wortsalat für wenige Millisekunden vor jeder Frage angezeigt.

Im folgenden Wissenstest lieferten die „trainierten“ Teilnehmer durchschnittlich 98,5% richtige Ergebnisse, die andere Hälfte kam auf durchschnittlich 83,7% richtige Lösungen. Das Wissen selbst war ja nicht trainiert worden, lediglich der Glaube an die eigenen Fähigkeiten (die dann ja nicht mal genutzt werden konnten). Die Vorbereitung scheint implizit lähmende Ängste durch Zuversicht ersetzt zu haben. Denn es wurde nicht das Wissen trainiert, jedoch wurde das Gefühl von Unterstützung und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gestärkt. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Personen vorhandenes Wissen besser abrufen konnten und sich dadurch die Leistung tatsächlich verbesserte.

Aufklärung wirkt

Der Therapeut oder Coach stärkt beim Klienten die, für den Placebo-Effekt so wichtige, positive Erwartungshaltung. Er sollte daher unbedingt die positive Wirkung eines Medikaments oder einer Maßnahme erklären, damit sich der Placebo-Effekt entfalten kann. Ein wortlos verordnetes Placebo wirkt bekanntermaßen deutlich schwächer, als eines, welches empathisch mit einer sachten Berührung und den Worten „das wird Ihnen sicher helfen“, überreicht wird. Noch deutlicher wird es, wenn ein Klient gar nicht von einer Behandlung informiert wird. So ist die Wirkung von Morphium deutlich geringer, wenn es einem Patienten ohne sein Wissen gespritzt wird3.

Und hier noch das Ergebnis einer Studie der Universität Southhampton zum Thema Arzt-Patient-Gespräch. Sagte der Arzt, nach einer Untersuchung:

  • „Ich weiß nicht, was ihnen fehlt!“ fühlten sich bereits 39% der Patienten besser (!)
  • „In ein paar Tagen wird es ihnen wieder bessergehen!“ ging es sogar 64% besser

Selbst dann, wenn er sonst nichts machte.

Was der Therapeut sieht, findet auch der Klient

In Coaching und Therapie kann man sich einen interessanten Aspekt zunutze machen. Klienten neigen nämlich dazu, in sich selber das zu finden, was der Coach oder Therapeut in ihnen sieht. Sieht also der Coach in seinem Coachee, einen Menschen, der seinem Ziel schon ein gutes Stück nähergekommen ist, wird sich auch der Coachee eher so erleben. Viktor Frankl fasste diesen Effekt einmal so zusammen: „Wer im Anderen das sieht, was er ist, macht ihn kleiner. Wer in ihm das sieht, was er sein kann, hilft ihm der zu werden, der er ist!“

Interesse heilt

Allein das Interesse des Therapeuten am Klienten hat einen starken heilenden Effekt. Beispielsweise erleben Studienteilnehmer oft bereits vor Studienbeginn eine Reduktion ihrer Symptome – allein aufgrund der Betreuung und Vorbereitungen. Und der Erfolg einer stationären Placebobehandlung bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn fiel umso höher aus, je mehr Visiten der Ärzte stattfanden.

Hypnose – Wenn Placebos Wirklichkeit werden

Einen weiteren sehr wichtigen Aspekt möchten wir noch erwähnen. Ein Placebo wirkt umso stärker, wenn es bereits positive Erfahrungen (Referenzerfahrungen) zu dem Thema gab. Im Rahmen einer hypnotherapeutischen Sitzung kann der Klient zum Beispiel in einer Trance, unter Umgehung kognitiver Abwehr oder Rationalisierung erleben, wie er eine herausfordernde Situation meistert. In dieser Trance verschafft er sich damit eine Referenzerfahrung für erfolgreiches Handeln. Auf die sein Unterbewusstsein in der Folgezeit zurückgreifen kann, ganz nach dem Motto: „Ich weiß ja, dass ich es kann, schließlich habe ich es schon mal erlebt.“

Das macht diese Form der Therapie so erfolgreich, selbst in sonst ausweglos erscheinenden Fällen. Und zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen inzwischen die Wirksamkeit der Hypnosetherapie. Mehr zu Hypnose und den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten erfährst du in unserer Hypnose-Ausbildung.

Fazit

Die Erwartung eines positiven Behandlungseffekts setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, die von Coaches oder Therapeuten maßgeblich beeinflusst werden.

Der Placeboeffekt – bestehend aus Erwartung und Konditionierung –  kann gesteigert werden, indem

  • der Therapeut signalisiert „du bist mir wichtig“ (die Therapeuten-Klienten-Beziehung, menschliche Zuwendung)
  • der Therapeut seine Therapie auf den Klienten ausrichtet (ich werde verstanden und mein Symptom wird verstanden)
  • der Therapeut kompetent erscheint (z.B. wirkt ein weißer Kittel bei Ärzten besser als Jeans, dieser Effekt nimmt jedoch zusehends ab)
  • der Therapeut positiv über die Behandlung denkt und spricht (Therapeutenerwartung überträgt sich auf Klientenerwartung)
  • die Angehörigen von der Behandlungswirksamkeit überzeugt sind (Überzeugung wichtiger Menschen überträgt sich auf Klientenerwartung)
  • bestehende Befürchtungen durch Aufklärung reduziert werden (Reduktion des Noceboeffektes – Beschreibung im nächsten Artikel)
  • die Beobachtung eines Behandlungserfolgs bei anderen Menschen (z.B. durch Testimonials)
  • positive Referenzerfahrungen genutzt werden (Mittel, Menschen, Orte, Methoden… Das, was schon mal geholfen hat, hilft vielleicht wieder)

Natürlich sind Menschen verschieden und die einen vertrauen eher dem einfühlsamen, verständnisvollen Behandler, der sich viel Zeit nimmt und die Therapie im Detail bespricht. Für andere sind kurze, klare Ansagen passender („Wir machen das und das wird helfen.“). Doch dies ist das WIE (die Art der Darreichung), das WAS (die oben genannten Punkte) bleibt bestehen.

Zweifler sind Nocebos, die schlecht gelaunten Verwandten des Placebos – doch darum geht es im nächsten Artikel.

Bis dahin alles Gute!
Dein NLP Zentrum Berlin

Quellen:

  1. https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/ohne-placebo-effekt-wirkt-morphium-viel-schwacher-3312.php
  2. Rapid communication: Mobilizing unused resources: Using the placebo concept to enhance cognitive performance von Ulrich W. Weger, Stephen Loughnan (http://journals.sagepub.com/doi/10.1080/17470218.2012.751117)
  3. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-51522012/scheinmedikament-mit-echter-wirkung

Weiterführendes:

Buch „Du bist das Placebo – Bewusstsein wird Materie“ von Joe Dispenza

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