1998 hielt Martin Seligman, neu ernannter Präsident des größten Psychologenverbandes der USA (APA), seine Antrittsrede und forderte einen neuen Fokus der Psychologie auf das, was ein erfülltes und glückliches Leben ausmacht. Die Psychologie des zwanzigsten Jahrhunderts hatte mit Hingabe Störungen und Seelenkrankheiten untersucht, katalogisiert und Ansätze zur Linderung entwickelt. Wie man auf einer Zustandsskala von -8 auf -2 kommt, war vielfältig erforscht. Was fehlte, war eine Disziplin, die erforscht, wie Menschen von +2 auf +5 kommen. Während die Arbeit klassischer Psychologie bei 0 endet, sollte dort die Arbeit der Positiven Psychologie beginnen.
Geschichte der Positiven Psychologie
Martin Seligman, ein amerikanischer Psychologe, wird als der Pionier der Positiven Psychologie betrachtet. Als er 1998 zum Präsidenten der American Psychological Association gewählt wurde, forderte er eine Erweiterung der Psychologie: die Untersuchung von Gesundheit und nicht die alleinige Fokussierung auf Krankheit. Damit prägte er den neuen Forschungszweig der Psychologie. Seitdem erforschen Psychologen weltweit, was das Leben lebenswert macht und wie entsprechende Umstände dafür geschaffen werden können.
Doch auch lange vor Seligman gab es bereits erste Ansätze und Ideen, außerhalb der akademischen Psychologie, die in diese Richtung dachten. Schon in den Schriften von Aristoteles ging es um Glück (Hedonismus und Eudaimonia), Sinnhaftigkeit und Tugenden. Abraham Maslow, ebenfalls ein amerikanischer Psychologe, der im 20. Jahrhundert lebte, prägte erstmals den Begriff „Positive Psychologie“ und verbreitete die Idee der Selbstverwirklichung, also der Potenzialentfaltung und Sinnerfüllung. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Positiven Psychologie wird außerdem Carl Rogers genannt, ebenfalls amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut. Rogers hat die Humanistische Psychologie stark mitgeprägt und ausgebaut und steht der Positiven Psychologie damit sehr nahe. Rogers hat außerdem den Begriff der fully functioning person geprägt, der dem flourishing, der durch Seligman geprägt wurde, sehr ähnlich ist. Es geht bei beiden Konzepten um die volle psychische Leistungsfähigkeit und Nutzung des individuellen Potenzials.
Doch auch wenn sich schon vor Seligman viele Philosophen und Psychologen mit dem Thema Glück beschäftigt haben, hat Seligman dem Thema als Forscher eine neue Richtung gegeben. Er wollte Glück und Wohlbefinden erforschen, hat um Fördermittel gekämpft und zahlreiche wissenschaftliche Studien angeregt. Diese wurden, wie es sich für eine aussagekräftige Forschung gehört, nach dem Prinzip der Randomisierung und mit Placebovergleichsgruppen durchgeführt. Inzwischen forschen weltweit Psychologen und Wissenschaftler in diesem Feld und Positive Psychologie wird heute an vielen renommierten Universitäten gelehrt.
Mehr als Glück für den Einzelnen
Die Positive Psychologie beschäftigt sich mit der Frage danach, was das Leben lebenswert macht und welche Aspekte eine Bedeutung für gelingendes Leben und Arbeiten haben. Als Zweig der Psychologie hat die Positive Psychologie eine starke wissenschaftliche Basis und kann auf vielfältige Studien und Untersuchungen rund um Glück, Zufriedenheit und Wohlbefinden zurückgreifen. Es werden Fragen, wie:
- Was ist Glück und wie kann man es messen?
- Was macht glücklich?
- Wie lässt sich Wohlbefinden steigern?
beantwortet und daraus Empfehlungen und Interventionen für ein erfülltes Leben abgeleitet.
Dabei geht es nicht nur um Glück und Wohlbefinden für den Einzelnen, sondern auch um die Umsetzung gesunder, funktionierender und optimal leistungsfähiger Organisationen und Gesellschaften. Die Positive Psychologie leistet also einen Beitrag zur Potenzialentfaltung von Individuen, Organisationen und Gesellschaften. Dementsprechend hat die Positive Psychologie ein breites Anwendungsfeld. Angefangen in Psychotherapie und Coaching sowie allgemeinen Programmen zur Persönlichkeitsentwicklung, über Unternehmen und Teams, Familien, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen bis hin zu ganzen Gesellschaften hat sich die Positive Psychologie zum Ziel gesetzt alle diese Bereiche zu verbessern.
In der Positiven Psychologie geht man davon aus, dass die Abwesenheit von körperlichen oder seelischen Krankheiten nicht automatisch zu Gesundheit führt. Und auf Gesundheit, die Anwesenheit von Wohlbefinden, haben viele verschiedene Aspekte Einfluss, die man als „Familienmitglieder“ der Positiven Psychologie bezeichnen kann. Es geht um Themen wie positive Gefühle, Stärken, Sinn, Optimismus, Flow, Selbstwirksamkeit, Selbstmitgefühl, Resilienz und tragfähige Beziehungen. Mit der Verknüpfung all dieser Themen hat sich die Positive Psychologie zu einer kraftvollen Haltung mit wirksamen Methoden und Interventionen entwickelt. Neben mehr Glück und positiven Emotionen macht uns die Positive Psychologie auch leistungsfähiger und widerstandsfähiger gegen Burn-Out und Depressionen. Denn die Interventionen helfen Denk- und Verhaltensmuster zu entwickeln, die langfristig zu mehr Zufriedenheit und Wohlbefinden führen – inklusive der zahlreichen positiven Nebeneffekte wie Langlebigkeit, Kreativität, Resilienz, Erfolg, Attraktivität, stabilere Beziehungen und Gesundheit.
3 Übungen, die dein Leben verändern
Die Positive Psychologie verfügt über einen sehr großen Fundus von Übungen. Drei Klassiker möchten wir dir im Folgenden kurz vorstellen. Diese Übungen wurden bereits sehr früh empirisch untersucht, tausende Menschen haben die Wirkungen erlebt und bestätigt. Die Übungen verstärken das Glücksempfinden und die Zufriedenheit und lindern depressive Tendenzen. Die Wirksamkeit der Übungen war zum Teil noch 3 bis 6 Monate nach der Durchführung nachweisbar.
1. Drei gute Dinge
Menschen nehmen negative Gefühle schneller wahr und behalten sie länger in Erinnerung als positive. Diese Fokussierung auf das negative hat evolutionäre Hintergründe, so war das Überleben der Steinzeitmenschen besser gesichert. Obwohl positive Gefühle im Alltag häufiger auftreten, bemerken Menschen sie weniger, was zu Angst, Mutlosigkeit, Pessimismus und Depressionen führt. Regelmäßiges Erleben positiver Emotionen baut Ressourcen auf und führt zu vielfältigen positiven Effekten. Außerdem mildern positive Gefühle negative Emotionen ab (Undoing-Effect), was der mentalen und körperlichen Gesundheit zugutekommt.
Die Übung „Drei gute Dinge“ (oder auch positiver Tagesrückblick) unterstützt das Wahrnehmen positiver Emotionen und hat somit vielfältige positive Auswirkungen.
So geht’s: Besorge dir ein schönes Notizbuch oder wähle ein anderes Medium, mit dem du dich wohlfühlst. Nimm dir mindestens eine Woche lang jeden Abend ein paar Minuten Zeit und lasse den Tag Revue passieren. Notiere dir:
- drei Dinge, die heute positiv bzw. schön waren
- und schreibe auf, wie du dazu beigetragen hast.
Die Dinge müssen dabei nicht groß oder außergewöhnlich sein. Es können auch kleine Erlebnisse sein, wie einen schönen Sonnenuntergang sehen oder dass dein Partner dir im Laufe des Tages eine liebevolle Nachricht geschickt hat. Wenn du dich jetzt fragst, was du zu solchen Erlebnissen, die dir „passiert sind“, beigetragen hast, hier noch ein paar Beispiele. Für den schönen Sonnenuntergang hast du dir vielleicht die Zeit genommen ihn überhaupt wahrzunehmen und bewusst zu genießen. Die liebevolle Nachricht deines Partners kam vielleicht, weil du zu einer liebevollen Beziehung beiträgst oder ihn in letzter Zeit besonders unterstützt hast oder vielleicht auch einfach, weil du dir einen so tollen Partner ausgesucht hast. Zusätzlich über die Frage, was du dazu beigetragen hast, nachzudenken, stärkt die Selbstwirksamkeit und schafft Bewusstsein über förderliche Strategien und Verhaltensweisen. Diese kleine Übung hat also gleich mehrere positive Auswirkungen.
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2. Der Dankbarkeitsbesuch
Dankbarkeit zählt zu den positiven Emotionen und hat damit vielfältige positive Auswirkungen. Das Erleben von Dankbarkeit führt zu einer intensiven und verlängerten Erfahrung positiver Emotionen. Ausgedrückte Dankbarkeit stärkt die Beziehung und hat nicht nur positive Effekte bei dem, der sie ausdrückt, sondern auch bei dem, der die Dankbarkeit erleben darf. Damit hat diese Übung gleich eine doppelt gute Wikung.
Der Dankbarkeitsbesuch war eine der ersten Übungen der Positiven Psychologie, die empirisch erforscht wurden. Die Auswirkungen dieser Übung sind kurzfristig sehr stark, halten dafür in den Untersuchungen nicht ganz so lange an, wie beispielswiese die Effekte des positiven Tagesrückblicks. Trotzdem lohnt es sich allemal diese Übung auszuprobieren und sich und einem nahestehenden Menschen etwas Gutes zu tun.
So geht’s: Nimm dir einen Moment Zeit und finde einen Menschen der, vielleicht schon vor längerer Zeit, etwas getan oder gesagt hat, einen wichtigen positiven Einfluss auf dein Leben hatte oder einen entscheidenden Beitrag geleistet hat – dem du dafür aber nie richtig gedankt hast. Ein Mensch, dem du in der nächsten Woche begegnen könntest. Wenn du dich für jemanden entschieden hast, schreibe dem Menschen einen Brief, in dem du deine Dankbarkeit ausdrückst. Du kannst hierbei so konkret oder allgemein bleiben, wie es für dich am besten passt. Wenn du fertig bist, schickst du den Brief nicht ab, sondern rufst den Empfänger an und verabredest dich mit ihm – ohne ihm von dem Brief zu erzählen. Bei deinem Dankbarkeitsbesuch liest du der Person deinen Brief vor und überreichst ihn. Auch wenn es besonders im europäischen Kulturkreis zunächst etwas ungewohnt klingt, wirst du eine sehr intensive und berührende Erfahrung machen, wenn du die Übung ausprobierst.
3. Der Freundlichkeitstag
Freundlichkeit ist eine der Charakterstärken der Positiven Psychologie. Stärken einzusetzen ist ebenfalls eine empfohlene Möglichkeit, um mehr Zufriedenheit zu erleben. Freundlichkeit führt zu positiven Emotionen und anderen etwas Gutes tun, hat ebenfalls eine starke Wirkung auf uns. Den Freundlichkeitstag (oder auch „Random Acts of Kindness“) kann man ganz kreativ gestalten. Einzige Regel ist: der Andere, der die Freundlichkeit erfährt, sollte sich über die Geste freuen oder einen Nutzen daraus ziehen können. Dabei ist es egal, ob der Andere die Geste direkt erfährt oder sie anonym erhält, ob du denjenigen kennst oder nicht. Die Acts of Kindness kannst du für deine Liebsten, deine Familie, Kunden oder Kollegen nutzen. Untersuchungen haben außerdem nachgewiesen, dass diese Übung besser wirkt, wenn man an einem Tag mehrere Acts macht, als diese über mehrere Tage zu verteilen.
So geht’s: Suche dir einen Tag aus, den du zum Freundlichkeitstag erklärst. Am besten machst du dir eine Erinnerung in deinem Kalender und deponierst kleine Erinnerungen in deinem Alltag wie Post-Its an Stellen, an denen du vorbeikommst oder Reminder auf dem Handy. Du kannst deinen Freundlichkeitstag ganz spontan gestalten oder vorher planen. Wenn du Lust hast, überlege dir schon vorher, welche Acts of Kindness du umsetzen möchtest. Hier einige Beispiele:
- spendiere jemandem einen Kaffee (oder etwas anderes)
- lass Wechselgeld oder deine noch gültige Fahrkarte im Fahrkartenautomat liegen
- schreibe jemandem eine liebe Nachricht
- mache Komplimente, auch unbekannten Menschen
- lasse jemanden an der Kasse vor
- gewähre jemandem Vorfahrt, obwohl er warten müsste
- überrasche deine Liebsten oder Kollegen mit kleinen Notizen, einem Kuchen oder etwas anderem, worüber sie sich freuen
- noch mehr Beispiele unter https://www.bradaronson.com/acts-of-kindness/
Und dann setze deine Ideen um, sei spontan und lass dich überraschen, was passiert. Und wenn du Freude an der Übung hast, wiederhole sie ruhig alle paar Wochen.
Positive Psychologie im Überblick
Zum Abschluss noch ein Video, das einen guten Überblick über die Positive Psychologie gibt:
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