7. November 2015

Macht Stress krank? – Teil II

Was unsere Erwartung und Oxytocin mit der Wirkung von Stress zu tun haben

Im letzten Artikel haben wir begonnen uns mit der Frage zu beschäftigen: „Macht Stress krank?“.
Wie sich zeigte, macht nicht Stress krank, sondern die Einstellung dem Stress gegenüber. Wir möchten diesmal, angeregt durch einen Vortrag von Kelly McGonigal, noch etwas tiefer in diese Thematik eintauchen und mit Hilfe von Studienergebnissen weitere erstaunliche Dinge aufzeigen.
Neben einer Vertiefung der These, dass nicht Stress sondern eine ungünstige Einstellung dem Stress gegenüber krank macht, geht es diesmal vor allem um Oxytocin, welches ein wichtiges, wenn auch wenig bekanntes, Stresshormon ist und was dies für Menschen mit Stress bedeutet…

Eine veränderte Einstellung zu Stress ändert die Reaktion des Körpers auf Stress

StressIm ersten Teil zum Thema Stress ging es um eine Studie der Harvard University und der University of California. Die beiden Universitäten erstellten jedoch noch eine weitere interessante Studie zu den Auswirkungen der Beurteilung von Stress. Die Teilnehmer der Studie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und gleichen Stresssituationen ausgesetzt. So sollten sie zunächst vor einem Expertengremium eine 5-minütige Rede über ihre persönlichen Schwächen halten. Die Experten waren darauf geschult, den Teilnehmern ein entmutigendes, non-verbales Feedback zu geben, was sie auch taten.
In einer weiteren Runde mussten die Teilnehmer einen Mathe-Test durchführen, ohne zu wissen, dass die Prüfer angewiesen waren, die Teilnehmer beim Lösen der Aufgaben zu stören und unter Druck zu setzen.
Beide Gruppen kamen also in die gleichen Prüfungssituationen, jedoch wurden die Gruppen unterschiedlich vorbereitet. Während einer Gruppe gesagt wurde, dass sie ihre Stressreaktion reduzieren können, indem sie die Stressquelle ignorieren, wurde der anderen Gruppe mitgeteilt, dass ihre Stressreaktion eine hilfreiche Körperreaktion ist und dass schneller zu atmen das Gehirn mit mehr Sauerstoff versorgt und das klopfende Herz hilft, sich auf Herausforderungen vorzubereiten. Denn bei einer typischen Reaktion des Körpers auf Stress erhöht sich die Herzfrequenz und die Gefäße ziehen sich zusammen. Das fühlt sich allgemein eher unangenehm an und ist einer der Gründe, warum chronischer Stress mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang gebracht wird und es nicht gesund ist, sich länger in einem solchen Zustand zu befinden.
Die Gruppe von Teilnehmern, die lernten, ihre Reaktion auf Stress als ihrer Leistung zuträglich zu bewerten, war vor der Aufgabe weniger gestresst, weniger ängstlich und deutlich zuversichtlicher. Doch noch beeindruckender war, wie die körperliche Stressreaktion sich während der Prüfungszeit veränderte: die Adern blieben entspannt und das Herz schlug zwar auch etwas stärker, aber in viel gesünderem Ausmaß, vergleichbar mit Situationen der Freude oder des Mutes. Und das nur wegen einer anderen Einstellung zu Stress!

Stress macht sozial

Aber das ist noch nicht alles, denn zur Gegenregulation von Stress wird ein ganz besonderer Botenstoff ausgeschüttet: Oxytocin. Oxytocin ist ein Antagonist zu den klassischen Stresshormonen, mit ganz besonderen Eigenschaften. Als „Kuschelhormon“ ist Oxytocin dafür bekannt, uns soziale oder körperliche Nähe empfinden und aufzubauen zu lassen. Es wird bereits ausgeschüttet, wenn wir jemanden umarmen, in sehr viel größeren Mengen bei der Entbindung eines Kindes und beim Stillen durch den Saugimpuls des Säuglings. Es sorgt für eine schnelle Geburt, eine stabile Mutter-Kind Bindung und festigt die Partnerschaft.
Was die meisten jedoch nicht wissen ist, dass das im Hinterlappen der Hypophyse gebildete Neuropeptid Oxytocin auch in Stresssituationen freigesetzt wird – zur Gegenregulation. Oxytocin motiviert uns, Unterstützung bei anderen zu suchen – denn gemeinsam können Menschen mehr erreichen, als allein. Gemeinsam sind sie stärker, ideenreicher, können besser Aufgaben aufteilen und vieles mehr. Oxytocin ist also in Stresssituationen eine gute Idee. Aber das ist noch längst nicht alles, denn die Produktion von Oxytocin macht auch gesünder!

Oxytocin macht Gesund

Oxytocin wirkt nicht nur als Neurotransmitter im Gehirn, sondern auch als Hormon im Körper. Dort sorgt es beispielsweise dafür, unser Herz-Kreislaufsystem vor den Nebeneffekten des Stresses zu schützen, indem es als natürlicher Entzündungshemmer wirkt. Das Herz besitzt sogar spezielle Rezeptoren für Oxytocin, wodurch es die Herzzellen unterstützt, sich nach einem durch Stress verursachten Schaden zu regenerieren, zu heilen und das Herz zu stärken.

Wenn wir unter Stress Unterstützung suchen, sei es um jemandem zu helfen oder um Hilfe zu suchen, setzt der Körper mehr Oxytocin frei! Dadurch reagieren wir gesünder auf Stress und erholen uns schneller.

In einer Studie der University of Michigan wurden 850 Personen im Alter von 34-93 Jahren zwei Fragen gestellt:

  • „Wie viel Stress hatten Sie im letzten Jahr?“
  • „Wie viel Zeit haben Sie im letzten Jahr darauf verwendet, Ihre Freunde, Nachbarn oder Menschen in Ihrer Umgebung zu unterstützen?“

Für die Auswertung der beiden Fragen, wurde ein standarisiertes Schema eingesetzt. So zählten zu den anzugebenden Stresssituationen Ereignisse wie Verlust des Arbeitsplatzes, schwere (nicht lebensbedrohliche) Erkrankungen, familiäre Krisen oder finanzielle Schwierigkeiten. Das Hilfeverhalten wurde in vier unbezahlte Aktivitäten eingeteilt, wie Unterstützung bei Besorgungen, Hausarbeit oder Kinderbetreuung. Außerdem gaben die Befragten an, wie lange sie in den vergangenen 12 Monaten diese Aktivitäten durchgeführt hatten.
Zusätzlich wurden im Rahmen der Studie in den darauffolgenden fünf Jahren die Todesfälle innerhalb der Gruppe registriert und mit den Antworten korreliert.
Kommen wir zu dem Ergebnis dieser Studie: Für jedes besonders stressige Erlebnis, erhöhte sich das Sterberisiko um 30 %… jedoch nicht für Menschen, die mehr Zeit darauf verwendeten, sich um andere zu kümmern – sie zeigten kein höheres Risiko, aufgrund von Stress zu sterben. Auch dann nicht, wenn sie zusätzlich einer großen Menge an Stress ausgesetzt waren. Anderen zu helfen, verringert also das stressbedingte Sterberisiko signifikant.

Zusammengefasst…

Wie wir denken und wie wir handeln, kann die Auswirkungen von Stress in hohem Maße beeinflussen. Sobald wir unsere Stressreaktion als hilfreich betrachten und wenn wir unter Stress den Kontakt zu anderen suchen, steigen Belastbarkeit, Mut und Gesundheit signifikant an.
Stress aktiviert unser Herz-Kreislaufsystem und unsere Atmung, um uns Kraft und Energie zu liefern. Mitgefühl und der Mut um Hilfe zu bitten, produziert Oxytocin und ermöglicht dem Herz-Kreislaufsystem sich schnell zu regenerieren.
Wenn wir uns entscheiden, Stress derart zu betrachten, werden wir deutlich besser mit den Herausforderungen des Lebens umgehen und uns daran erinnern, nicht alleine damit fertig werden müssen. Und vielleicht würden wir auch, wie Kelly McGonigal, damit aufhören undifferenziert anderen Menschen zu sagen, dass Stress krank macht, denn das könnte Menschen wirklich krank machen.

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Quellen:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3410434/
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3780662/

Bild: basketman23 | dollarphotoclub

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