20.12.2014

Der Priming Effekt – Teil I

Wie wir von Vorhergehendem beeinflusst werden

Sind unsere Gedanken und Urteile, die wir Tag für Tag fällen, nur von unserer bewussten Entscheidung abhängig oder werden sie womöglich in hohem Maße von außen beeinflusst? Kann es sein, dass das Gewicht einer Einkaufstasche uns dazu bringt, dass wir Nährwertangaben auf Lebensmitteln eine größere Bedeutung beimessen? Und kann die Temperatur eines Getränkes unsere Sympathie für eine unbekannte Person beeinflussen? Verändert die Härte eines Stuhls unsere Kompromissbereitschaft in Verhandlungen? Steigt die Bereitschaft hohe Kaufpreise zu akzeptieren, wenn zuvor, vielleicht in einem ganz anderen Zusammenhang, große Zahlen genannt wurden?
Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich die Priming-Forschung. Der Priming-Effekt ist ein Phänomen, das nicht nur Sozialpsychologen seit mehreren Jahrzehnten fasziniert. Zahlreiche spannende Versuche aus der Priming-Forschung zeigen, dass Ideen und Beurteilungen maßgeblich durch unterschwellige Reize beeinflusst werden.

 

Was ist Priming?

PrimingDer Begriff Priming lässt sich mit „vorbereiten“ übersetzen. Gemeint ist damit, dass ein erster Reiz (Prime), der durch das menschliche Gehirn aufgenommen wird, die Interpretation bzw. die Reaktion auf darauf folgende Reize maßgeblich beeinflusst. Das heißt der Prime aktiviert ein Assoziationsfeld, mit dem das danach Folgende, in Verbindung gebracht wird. Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Gedanken, Emotionen und Handlungen werden nicht kontextlos, gleichsam aus dem Nichts, erzeugt, sondern sie beziehen sich auf Vorhergehendes. Nur ist uns oft die Verbindung mit dem Vorhergehenden nicht bewusst.
Als Priming-Reize kommen Reize auf allen Sinneskanälen in Frage wie z.B. Bilder, Worte, taktile Empfindungen oder Gerüche, doch auch Gedanken und Erinnerungen.

Veranschaulichen lässt sich dieses Phänomen an folgendem Fragetrick:

Klaus stellt Peter eine Reihe von Fragen, auf die dieser möglichst schnell antworten soll.
Klaus: Welche Farbe hat der Schnee?
Peter: Weiß natürlich.
Klaus: Welche Farbe hat die Wand?
Peter: Auch weiß.
Klaus: Welche Farbe haben die Wolken?
Peter: Weiß.
Klaus: Was trinkt die Kuh?
Peter: Milch.

Falsche Antwort! Obwohl Peter möglicherweise bereits geahnt hat, dass er durch die Fragen nach der Farbe Weiß in die Irre geführt werden sollte, kam auf die letzte Frage die Antwort „Milch“ wie aus der Pistole geschossen. Jeder Mensch weiß, dass Kühe, wie alle Säugetiere, nur in den ersten Monaten Milch trinken. Durch die Beschäftigung mit der Farbe Weiß wurde die falsche Antwort jedoch auf unbewusster Ebene vorbereitet. Durch diese Art des Vorbereitens lassen sich nicht nur spontane Antworten, sondern auch Urteile und Handlungen beeinflussen, wie durch zahlreiche sozialpsychologische Experimente nachgewiesen wurde.

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Erklärungsmodelle

Für den Priming-Effekt gibt es mehrere Erklärungsmodelle. Die gängigsten Modelle gehen davon aus, dass durch den Priming-Reiz bestimmte netzwerkartige Strukturen im Gehirn aktiviert werden, die mit diesem Reiz in Verbindung stehen. Im oben genannten Beispiel wäre dies alles, was weiß ist. Bei der Wahrnehmung späterer Reize werden durch die Aktivierung dieser Netzwerkstrukturen Interpretationen bevorzugt, die mit der Interpretation des ersten Reizes in Verbindung stehen. Andere Interpretationen werden dagegen gehemmt. Da Milch weißer ist als Wasser und darüber hinaus vortrefflich zur Kuh passt, drängt sich die falsche Antwort somit förmlich auf.

Da der Priming-Effekt auf unbewusster Ebene stattfindet, haben wir den Eindruck, dass unsere durch den Reiz beeinflussten Wahrnehmungen und Handlungen auf unseren eigenen Ideen basieren – vor allem dann, wenn der Priming-Reiz nicht bewusst als solcher wahrgenommen wurde. Zahlreiche, teilweise sehr überraschende wissenschaftliche Studien haben sich mit dem Priming-Effekt auseinander gesetzt. So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass sich durch Priming Urteile beeinflussen lassen, die sich Versuchspersonen über einen anderen Menschen machen.

Ist Donald selbstsicher oder arrogant?

Eine der ältesten und prominentesten Studien stammt bereits aus dem Jahr 1977. Hierbei wurde ein Teil der Probanden mit positiven Wörtern „geprimt“, der andere Teil mit negativen Wörtern. Die Versuchspersonen gingen davon aus, dass es sich hierbei um einen Wahrnehmungstest handelte. Im Anschluss daran, wurden die Probanden darum gebeten, an einer weiteren, von dem ersten Test vermeintlich unabhängigen Studie teilzunehmen.
Hierbei erhielten sie die Beschreibung einer Person Namens Donald, deren Verhalten in dieser Beschreibung auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden konnte. Hierbei zeigte sich, dass die mit positiven Wörtern geprimten Versuchspersonen eher dazu tendierten, Donalds Verhalten beispielsweise als „abenteuerlustig“ und „selbstsicher“ zu interpretieren. Die mit negativen Wörtern geprimten Probanden dagegen neigten eher dazu, ihn mit Attributen wie „leichtsinnig“ oder sogar „überheblich“ zu beschreiben.
Higgins, E. T., Rholes, W. S., & Jones C. R.: Category accessibility and impression formation. Journal of Experimental Social Psychology. 1977 – Quelle

Schwere Lasten machen uns ernster und geben Nährwertangaben mehr Bedeutung

Eine andere Studie an der Universität Honkong und der National University of Singapore untersuchte, wie der Priming-Effekt einen Einfluss darauf haben kann, welchen Wert Personen bestimmten Fragen beimessen. Ein Teil der Probanden musste zuvor schwere Einkaufstaschen tragen, während den Personen der anderen Gruppe Taschen mit leeren Plastikflaschen an die Hand gegeben wurde. Beide Versuchsgruppen waren in dem Glauben, in der Studie ginge es darum, wie viel Gewicht Konsumenten bereit sind zu tragen.

Im Anschluss daran sollten beide Gruppen Fragen beantworten, in denen es darum ging, welchen Wert sie unterschiedlichen Dingen beimessen. Auch in diesem Experiment wurde den Versuchspersonen bewusst vorenthalten, dass diese Fragen mit dem vorangegangenen Versuch in Beziehung standen. So wurden sie beispielsweise gefragt, für wie wichtig sie es erachteten, dass Lebensmittelprodukte mit Nährwertangaben versehen sind oder wie wichtig es ist, die eigene Meinung öffentlich zu äußern. Die Probanden, die zuvor schwer zu tragen hatten, maßen diesen Fragen eine größere Wichtigkeit bei als die Kontrollgruppe. In weiteren Versuchen wurde darüber hinaus deutlich, dass es keinen Unterschied machte, ob die Versuchspersonen das Gewicht wirklich körperlich zu tragen hatten, oder ob ihnen das Gewicht lediglich mit Worten suggeriert wurde.
Meng Zhang & Xiuping Li: From Physical Weight to Psychological Significance. The Contribution of Semantic Activations. Journal of Consumer Research. April 2012 – Quelle

Priming und die Entdeckung der Langsamkeit

Eine weitere vielzitierte Studie hat gezeigt, dass durch Priming nicht nur die Wahrnehmung und die Einstellung von Personen beeinflusst werden kann, sondern auch deren unbewusstes Verhalten. Es ist vorab zu erwähnen, dass die Ergebnisse dieses als „Florida-Effekt“ bekannten Experiments in einem Jahrzehnte späteren Versuchsaufbau nicht reproduziert werden konnten. Andere, ähnlich aufgebaute Versuche konnten dagegen vergleichbare Effekte bestätigen. Die eine Gruppe Versuchspersonen aus dem Florida-Experiment wurden mit Wörtern geprimt, die sich auf Stereotype älterer Menschen bezogen, wie z.B. verwirrt, einsam, alt, grau, Florida, Rente etc. Wobei Stereotype, die sich direkt auf die für ältere Menschen übliche Langsamkeit bezogen, bewusst vermieden wurden. Die Versuchspersonen einer anderen Gruppe wurden mit neutralen Wörtern geprimt.
Die Versuchspersonen erhielten hierbei dann die Aufgabe, aus einzelnen Wörtern Sätze zu konstruieren.

Was die Versuchspersonen nicht wussten, war, dass ihre Gehgeschwindigkeit vor und nach dieser Aufgabenstellung gemessen wurde. Als Ergebnis zeigte sich, dass die Versuchspersonen beim Verlassen des Versuchsraums signifikant langsamer gingen als zuvor, während bei einer Kontrollgruppe, die zuvor mit neutralen Wörtern geprimt worden war, kein signifikanter Unterschied gemessen werden konnte.
Bargh, J. A., Chen, M. & Burrows: Automaticity of social behavior. Direct effect of trait construct and sterotype activation on action. Journal of Personality and Social Psychology. 1996

Im Jahr 2006 zeigte eine Studie an der Universität Köln, dass der Florida-Effekt auch in die andere Richtung funktioniert. Die Probanden wurden hierbei angehalten, sich in einer für ältere Menschen charakteristischen Art und Weise langsam zu bewegen. Hierbei stellte sich heraus, dass es diesen Personen verglichen mit einer Kontrollgruppe deutlich leichter fiel, sich für das Alter stereotype Wörter zu merken, die sie während des Experiments über Kopfhörer wahrgenommen hatten. Hierbei handelte es sich um die deutschen Übersetzungen der Wörter, die bereits im Florida-Experiment verwendet worden waren.
Thomas Mussweiler: Doing Is for Thinking! Stereotype Activation by Stereotypic Movements. Psychological Science 17, 2006, S. 17-21

Auch Erfolg lässt sich primen

Durch Priming lässt sich auch die Kreativität und die Leistungsfähigkeit erhöhen. In einer Studie von Prof. Alexander D. Stajkovic an der University of Wisconsin—Madison wurden Teilnehmer aufgefordert, aus einzelnen Wörtern möglichst viele unterschiedliche Sätze zu bilden. Einer Gruppe wurden hierbei Erfolgswörter wie „gewinnen“, „erfolgreich sein“, „Wettkampf“ vorgelegt. Eine Kontrollgruppe erhielt für die gleiche Aufgabe dagegen neutrale Wörter wie „Schildkröte“, „grün“, „Lampe“.

Im Anschluss wurde den Teilnehmern beiläufig eine weitere Aufgabe gegeben, unter dem Eindruck, dass diese nichts mit der eigentlichen Studie zu tun hätte. Hierbei handelte es sich um eine Kreativitätsaufgabe, in der es darum ging, aus einem Stück Draht möglichst viele unterschiedliche Dinge zu entwickeln. Hierbei zeigte sich, dass die Gruppe, die durch die Erfolgswörter geprimt worden war, erheblich bessere Ergebnisse erzielte.
Alexander D. Stajkovic, Edwin A. Locke, Eden S. Blair: A First Examination of the Relationships Between Primed Subconscious Goals, Assigned Conscious Goals, and Task Performance. Journal of Applied Psychology 91, 2006, S. 1172-1180

Apple sticht IBM

Priming funktioniert auch, wenn der Priming-Reiz nicht mit dem Bewusstsein wahrgenommen wird. In einer Studie an der Duke University in Kanada erhielten 341 Studenten eine Aufgabe, von der sie dachten, es handle sich um einen Test der Sehschärfe. Während des Versuchs wurde einer Gruppe das Apple Logo in Sequenzen eingeblendet, die so kurz waren, dass der bewusste Verstand dies nicht wahrnehmen konnte. Einer anderen Gruppe wurde auf die gleiche Art und Weise das Logo von IBM eingeblendet.

Im Anschluss daran nahmen die beiden Gruppen an einem Kreativitätstest teil. Es stellte sich heraus, dass die Personen, die auf unbewusster Ebene durch das Apple Logo geprimt wurden, erheblich mehr Ergebnisse erzielten, die darüber hinaus von unabhängigen Gutachtern als besser gewertet wurden. Um zu überprüfen, ob der Reiz wirklich nicht bewusst wahrgenommen wurde, haben die Experimentatoren den Versuchspersonen 100 Dollar geboten, wenn sie sagen konnten, welches Firmenzeichen auf dem Bildschirm geflasht wurde. Keiner von ihnen konnte es sagen!
Quelle

Aus den Ergebnissen der Priming-Forschung lässt sich klar sagen, dass wir jeden Tag unzählige Male geprimt werden und selbst regelmäßig andere Menschen primen, ohne es bewusst zu bemerken. Nicht nur unsere Glaubenssätze sind zum größten Teil nicht bewusst gewählt, unsere Sichtweisen und Handlungen sind auch noch maßgeblich von zuvor – bewusst oder unbewusst – Wahrgenommenem beeinflusst.

Priming ist weder gut noch schlecht, es existiert einfach. Es ist ein Phänomen, das beschreibt, wie zuvor Wahrgenommenes unsere folgende Wahrnehmung und unser Denken beeinflusst. Es ist ein nützlicher Algorithmus, der blitzschnell Dinge in einen Zusammenhang bringt und dabei Vorhergehendes mit einbezieht. Wir können davon ausgehen, dass unser Verstand ohne diesen Effekt erheblich langsamer arbeiten würde. Den daraus resultierenden Nachteil der Beeinflussbarkeit durch Vorhergegangenes, müssen wir hierbei wohl in Kauf nehmen. Oder wir nutzen ihn, um ein schöneres Leben zu leben…

Es lohnt sich also, sich mit Priming auseinanderzusetzen, vor allem dann, wenn wir bewusst eine möglichst freie Entscheidung treffen oder Situationen positiv beeinflussen wollen. Vor allem aber ist es entscheidend, welche Primes wir selbst bewusst in unser Leben holen, um unsere Wahrnehmung und unser Verhalten auf Ziele und Lösungen auszurichten, anstatt auf Hindernisse und Probleme.
Im nächsten Blog-Artikel werden wir uns mit einigen weiteren spannenden Experimenten beschäftigen, um uns dann im dritten Artikel den vielfältigen praktischen Anwendungsmöglichkeiten zu widmen.

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